Mittwoch, 12. November 2014

Hylemorphismus

Der Hylemorphismus, die aristotelisch-thomistische Theorie von Form und Materie ist das Fundament der gesamten Philosophie der materiellen Welt. Der Hylemorphismus baut auf die noch allgemeinere Akt-Potenz-Theorie auf, die über den Bereich der materiellen Entitäten hinausgeht; der Hylemorphismus ist die Anwendung dieser Theorie auf den Bereich der materiellen Welt, für den Bereich der Entstehung, der Bewegung, Veränderung und des Werdens.
Jede Potenz ist immer eine Potenz für eine bestimmte Aktualität. Sie richtet sich auf etwas, das über sie selbst hinaus weist, nämlich auf ein Ziel oder einen Zweck. Die Potenzialität eines Dinges zu verstehen bedeutet, die Finalität des Dinges zu verstehen. Die Potenz eines Dinges kann nur durch etwas aktualisiert werden, das bereits aktual ist, d.h. keine Potenz aktualisiert sich selbst. Deshalb versteht man die Entstehung oder jede Veränderung eines Dinges, d.h. die Aktualisierung in verschiedenster Hinsicht, wenn man die effiziente Kausalität versteht. Finale und effiziente Ursachen sind die extrinsischen Prinzipien des Seins einer Entität. Von hier aus kann man nun den Hylemorphismus verstehen.






Stellen Sie sich einen dieser Stifte vor, mit denen man auf die Oberfläche sogenannter Flipcharts schreiben kann, so dass man die Schrift später wieder trocken abwischen kann. Die Tinte in diesen Flipchart-Stiften ist flüssig, doch sie hat die Potenz zu trocknen, nämlich z.B. an der Oberfläche des Flipcharts, in einer bestimmten Figur, wie einem Kreis. Wenn Sie den Stift benutzen um damit einen Kreis zu zeichnen, wird diese Potenz der Tinte im Stift aktualisiert. Sobald die Tinte am Flipchart getrocknet ist, ist diese Potenz aktualisiert und hat jetzt andere Potenzen, wie z.B. die Potenz, von der Tafel entfernt zu werden mit einem Lappen, wodurch die Partikel auf der Tafel zu Staub werden.

Bei diesem Vorgang können wir nun verschiedene Dinge unterscheiden: zunächst ein bestimmbare Substrat das gewissermaßen der Sitz dieser Potenz ist, nämlich die Tinte. Weiterhin haben wir eine Reihe bestimmender Muster, die das Substrat, die Tinte, annehmen kann, wenn die verschiedenen Potenzen aktualisiert sind, Muster wie „flüssig“, „trocken“, „kreisförmig“, „staubteilchenförmig“. Das bestimmbare Substrat der Potenz ist nun das, was die Scholastiker als Materie bezeichnen und die bestimmenden Muster sind das, was sie als Form bezeichnen. Wenn es wirkliche Veränderungen gibt, woran kaum Zweifel bestehen, dann gibt es auch Form und Materie. Die Materie ist das, was in einer Veränderung aktualisiert werden muss und die Form ist das, was das Ergebnis der Aktualisierung ist.

Jedes bestimmende, aktualisierende Muster gilt als Form in diesem Sinne, nicht nur die Gestalt eines Dinges, sondern auch die Farbe, die Temperatur, die Größe und alle anderen Bestimmungen, die eine Entität annehmen kann.

Auch der Begriff der Materie unterscheidet sich von dem Begriff der Materie, wie er in den Wissenschaften oder auch im Alltag Verwendung findet. Materie im Sinne des Hylemorphismus bedeutet nichts anderes als das, was bestimmbar ist. Ganz gleich, was die Naturwissenschaften über die Materie der Tinte oder was auch immer sagen, es hat nichts direkt mit dem zu tun, was Materie im Sinne des aristotelischen Hylemorphismus bedeutet. Die Materie ist das an sich selbst unbestimmte, was bestimmbar ist, was in Potenz ist und durch die Form bestimmt wird. Tinte oder jede andere Materie im Sinne der Naturwissenschaft oder des Alltagsverständnisses ist immer schon bestimmte, d.h. geformte Materie, die im Hylemorphismus als „sekundäre Materie“ bezeichnet wird. Im eigentlichen, metaphysischen Sinne ist die Materie das bestimmbare Substrat der Potenz.

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