Donnerstag, 11. Dezember 2014

Tarzan und die Liane

Im Ausgang von der Unterscheidung zwischen Form und Materie haben scholastische Philosophen eine weitere Unterscheidung zwischen einer substantiellen und einer akzidentellen Form eingeführt. Diese Unterscheidung ergibt sich wieder aus einem Unterscheid, die sich auch schon bei Aristoteles findet, nämlich zwischen vom Menschen gefertigten Dingen, wie einer Hängematte, die Tarzan aus Lianen geflochten hat und akzidentellen Zusammenstellungen, wie einem Haufen Steinen. Die Bestandteile aus denen Tarzans Hängematte besteht – die Lianen – und die Steine, aus denen der Haufen besteht, sind natürliche Gegenstände bzw. Substanzen.




 Grundlage der Unterscheidung zwischen akzidentellen Zusammenstellungen und Artefakten auf der einen Seite und natürlichen Objekten auf der anderen Seite ist der, dass natürliche Gegenstände ein charakteristisches Verhalten zeigen – die Art und Weise, in der sie ihre Beständigkeit oder Veränderung manifestieren – die sich aus ihrer intrinsischen Natur ergibt. Ein nicht-natürlicher Gegenstand hat kein solches intrinsisches Prinzip seines charakteristischen Verhaltens, sondern nur das natürliche Objekt, aus dem dieser nicht-natürliche Gegenstand besteht.

Edward Feser erläutert diesen Unterschied gerne am Beispiel Tarzans, der sich mit Hilfe von Lianen von Baum zu Baum schwingt und aus Lianen eine Hängematte bildet, in der er sich ausruht. Bei der Liane handelt es sich um einen natürlichen Gegenstand, bei der Hängematte um ein Artefakt, einem vom Menschen hergestellten Gegenstand. Die Teile der Liane haben eine inhärente Tendenz zusammenzuwirken um es der Liane zu erlauben, nach bestimmten Wachstumsmustern zu wachsen, Wasser und Nährstoffe aufzunehmen usw. Demgegenüber haben die Teile der Hängematte, die aus Lianen hergestellt wird, keine inhärente Neigung so zusammenzuwirken, dass sie zu einer Hängematte werden. Dazu müssen sie von außen, durch Tarzan, in diese bestimmte Weise zusammengesetzt werden, um diesem bestimmten Zweck zu dienen. Der Zweck der Zusammensetzung der Teile zu einer Hängematte ist den Teilen der Liane in diesem Fall äußerlich.

Dieser Unterschied zwischen dem, was ein intrinsisches Prinzip seiner Tätigkeit hat und dem, das ein solches Prinzip nicht hat, ist im Wesentlichen der Unterschied zwischen etwas, das eine substantielle Form hat und dem, was nur eine akzidentelle Form hat. Eine Liane zu sein beinhaltet, eine substantielle Form zu haben, während eine Hängematte zu sein beinhaltet das „Aufzwingen“ einer akzidentellen Form auf zusammengesetzten Dingen, deren Bestandteile bereits eine substantielle Form haben, nämlich in unserem Beispiel die substantielle Form der Liane. Eine Liane ist eine echte Substanz in dem Sinne, wie scholastische Philosophen eine Substanz verstehen. Eine Hängematte ist keine echte Substanz und zwar genau deshalb nicht, weil sie, als Hängematte, keine substantielle Form hat, d.h. ein intrinsisches Prinzip ihrer Tätigkeit. Die Hängematte hat nur eine akzidentelle Form. Typischerweise sind natürliche Gegenstände Substanzen, während, wie Thomas von Aquin mit Bezug auf Aristoteles sagt, „einige Dinge keine Substanzen sind, wie dies besonders bei Artefakten klar ist.“ (Sententia super Metaphysicam, VII.17.1680).

Die Tendenzen in der Liane sind ein paradigmatisches Beispiel für intrinsische Finalität oder Teleologie und diese Art der Finalität ist ein Kennzeichen der Gegenwart einer substantiellen Form. Denn diese Tendenzen beinhalten eine Ausrichtung auf ein bestimmtes Ziel – Wachstumsmuster einer bestimmten Art, Wasseraufnahme und Aufnahme von Nährstoffen usw. – die eine Liane genau deshalb hat, weil sie eine Liane ist. Im Gegensatz dazu sind die Tendenzen der Hängematte paradigmatische Beispiele für eine extrinsische Finalität oder Teleologie, die von außen auferlegt wird. Es gibt diese Neigung der Hängematte, z.B. sich darin bequem auszuruhen, nur insofern, als sie der Hängematte von einem Hersteller hinzugefügt wird.

Allerdings sind nicht alle akzidentellen Formen das Ergebnis von Herstellung. Ein Haufen von Lianen, der zufällig so zusammenliegt, dass er ähnlich wie eine Hängematte aussieht, hat als dieser Haufen keine substantielle Form, genau wenig wie ein Haufen Steine, der von einem Berghang herabgerutscht ist. Es handelt sich bei diesen Dingen um akzidentelle Zusammensetzungen, die, obwohl sie gewissermaßen „natürlich“ entstanden sind, keine Substanzen sind.


Zudem sind auch nicht alle Dinge, die von Menschen erzeugt werden, Artefakte. Dies wird deutlich am Beispiel des Feuers. Feuer ist etwas natürliches, auch dann, wenn es von Menschen entzündet wird. Und Wasser, das im Labor synthetisiert wurde, ist gleichwohl natürliches Wasser und unterscheidet sich nicht wesentlich von Wasser, das als Regen vom Himmel fällt. Die bekannte Philosophin Eleonore Stump hat darauf hingewiesen, dass es auch Dinge gibt, die nicht unabhängig von menschlichen Eingriffen existieren und die dennoch eine substantielle Form besitzen und in diesem Sinne „natürlich“ sind. Als Beispiel dafür hat sie Styropor beschrieben (E. Stump: Aquinas, S. 44). 

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