Mittwoch, 29. April 2015

Die Realität der Wesenheiten



Die Wesenheit einer Sache ist ihre Natur, das, wodurch sie das ist, was sie ist. Die Wesenheit ist das, was wir intellektuell erfassen, wenn wir die Gattung und den spezifischen Unterschied einer Sache erfassen. Das klassische Beispiel zur Erläuterung der Wesenheit ist die Definition der Wesenheit des Menschen bei Aristoteles als rationales Sinneswesen. In dieser Definition wird Sinneswesen als Gattung betrachtet, unter die der Mensch fällt und Rationalität als das, was den Menschen als Art von der Gattung unterscheidet. Wenn die Definition richtig ist, dann gibt sie uns das Wesen des Menschen an.




Die Form einer materiellen Substanz bestimmt die Wesenheit einer solchen Substanz. Oft werden die Begriffe „Form“ und „Wesenheit“ in der scholastischen Philosophie synonym verwendet. Dies ist allerdings genau genommen nicht richtig, da die Wesenheit einer materiellen Substanz aus Form und Materie besteht, denn die Materie ist wesentlich für die Tätigkeit der materiellen Substanzen. Bei einer immateriellen Substanz allerdings wäre die Form identisch mit der Substanz.

Unter dem Begriff Essentialismus, der in der Gegenwartsphilosophie häufiger zu hören ist, versteht man ganz allgemein die Auffassung, dass es wirkliche oder echte Wesenheiten gibt. Lässt sich dies beweisen? Ein Ansatz zur Begründung der Realität von Wesenheit kann sich auf Aristoteles berufen (Buch II der Physik), wenn er sagt, dass es absurd wäre zu versuchen, die Natur der Dinge zu beweisen. Damit meint Aristoteles, dass es nicht zweifelhaft sein kann, dass Dinge Wesenheiten oder Naturen haben, da dies ganz offensichtlich ist. Er meint, dass es offensichtlicher ist, dass Dinge Wesenheiten haben als jeder Beweis für die Existenz von Wesenheiten oder Naturen. Nur unter höchst kontroversen und dubiosen philosophischen Annahme lässt sich die Realität der Wesenheiten in Zweifel ziehen.

Nun gibt es aber tatsächlich Zweifel an der Realität der Wesenheiten und insofern muss man mehr zur Rechtfertigung der Wesenheiten sagen als Aristoteles dies getan hat. Edward Feser nennt in seinem Buch Scholastic Metaphysics, (auch dieser Blogbeitrag ist eine Zusammenfassung des entsprechenden Kapitels der Seiten 211 – 216) mehrere Argumente aus der jüngeren Zeit, die zumeist von neueren Essentialisten stammen.

So kann man das Argument von Hilary Putnam für den „wissenschaftlichen Realismus“ auch auf die Wesenheiten anwenden. Die Welt ist so verfasst wie wir es erwarten, wenn die Dinge wirklich Wesenheiten haben. Insbesondere zeigen Dinge eine Einheit, die wir erwarten können, wenn Dinge eine Wesenheit haben und zwar in zwei Hinsichten. Zunächst stehen die Dinge miteinander in einer Weise in Verbindung, dass sie eine Einheit bzw. Gemeinsamkeit zeigen. Eine Eiche und eine weitere Eiche sind so verbunden, wie sie es nicht mit Steinen, Hunden oder Menschen sind. Dieser Eisbär und jener Eisbär und ein weiterer Eisbär sind in einer ähnlichen Weise miteinander verbunden. Dieses bestimmte Kupferstück und jenes und ein drittes bilden ebenfalls eine Einheit und so weiter. Diese Gruppen von Dingen manifestieren gemeinsame kausale Kräfte und andere Eigenschaften in genau der Art und Weise die wir erwarten würden, wenn es gemeinsame reale Wesenheiten oder Naturen gibt, die von den Dingen instanziiert werden, die aber mysteriös wären – ein „Wunder“ wie Putnam sagen würde (daher der Name dieses Arguments: no miracles argument) – wenn ihre Zusammenstellung allein durch menschliche Konvention zustande kommt.

Zudem zeigt jedes individuelle Ding eine ihm eigene Einheit. Eine Eiche, ein Eisbär, ein Stück Kupfer wird sich im Verlauf der Zeit immer in einer einheitlichen und vorhersagbaren Weise verhalten. Sie zeigen ganz charakteristische Eigenschaften und Verhaltensmuster, bestehen durch die Zeit trotz Veränderungen ihrer oberflächlichen Merkmale, und die Teile dieser Dinge funktionieren in einer integrativen Art und Weise. Und genau das ist es, was wir erwarten würden, wenn es Wesenheiten oder Naturen gibt und es wäre sehr mysteriös, wenn es keine solchen Wesenheiten gäbe.

Natürlich ist damit keineswegs gesagt, dass es immer oder auch nur zumeist einfach ist, bestimmte Dinge einer bestimmten Klasse oder Gruppe zuzuordnen oder genauer gesagt, dass es einfach ist, die Wesenheiten der Dinge zu bestimmen. Doch Schwierigkeiten bei der Bestimmung oder der Erkenntnis von Wesenheiten bedeuten nicht, dass es keine Wesenheiten gibt. Der Punkt im Argument Putnams ist, dass es sehr mysteriös wäre, wenn die Einheit und Ordnung der Dinge nicht auf ihren bewusstseinsunabhängigen Wesenheiten beruhen würden.

Die weiteren Argumente möchte ich für den nächsten Blogbeitrag zurückstellen.

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