Donnerstag, 18. April 2024

Geist, Materie und Formbarkeit. Von Descartes zum Konstruktivismus


Wir setzen unseren Blick auf Jacques Maritains Three Reformers: Luther, Descartes, Rousseau fort und wollen einige interessante Passagen über das Menschenbild betrachten, das die moderne Welt von Descartes geerbt hat.  Maritain untertitelt sein Kapitel zu diesem Thema mit "Die Inkarnation des Engels".  Wie zu erwarten, hat dies zum Teil mit der Auffassung des kartesischen Dualisten zu tun, dass der Geist eine res cogitans oder denkende Substanz ist, deren Natur gänzlich unkörperlich ist, so dass sie nur zufällig mit dem Körper verbunden ist.  Maritain interessiert sich jedoch vor allem für die kartesische Lehre von den eingeborenen Ideen und ihre Auswirkungen.

Mittwoch, 17. April 2024

Die Metaphysik des Individualismus


Im modernen moralischen Diskurs wird oft von "Personen" und "Individuen" gesprochen, als ob diese Begriffe mehr oder weniger austauschbar wären.  Doch das ist nicht der Fall.  In seinem Buch Three Reformers: Luther, Descartes, Rousseau (vor allem in Kapitel 1, Abschnitt 3) weist Jacques Maritain auf einige wichtige Unterschiede zwischen den Begriffen hin und zeigt ihre moralischen und sozialen Implikationen auf.

 

Dienstag, 26. März 2024

Personalismus und Gemeinwohl

 


Der folgende Artikel erschien erstmals 2009 in der katholischen Monatszeitschrift Kirchliche Umschau. Wegen seiner Aktualität und der kritischen Betrachtung des Personalismus lohnt sich eine Veröffentlichung im Blog.

Die moderne liberalistische Gesellschaft ist völlig unfähig ein allgemeines sittliches Gesamtbewußtsein hervorzubringen, wie es vor allem im Mittelalter, aber auch noch einige Jahrhunderte später in fast allen europäischen Ländern zu finden war. Die liberale Gesellschaft wird beherrscht von Interessengruppen und Parteien, die ihre eigenen Bedürfnisse und Weltanschauungen gegen andere durchzusetzen versuchen. Wenn es in einer solchen liberalistischen Gesellschaft einer Gruppe oder Partei ermöglicht würde, ihre Interessen und Anschauungen durchzusetzen, dann wäre das Gemeinwohl als Ziel der Gesellschaft sofort zerstört. Denn das Gemeinwohl ist das Wohl der ganzen Gemeinschaft, des gesamten Staates und setzt ein sittliches Gesamtbewußtsein voraus. Da aber ein Gesamtbewußtsein der Gesellschaft fehlt und nur Parteien gegeneinander antreten, muß in einer liberalistischen Gesellschaft das Gemeinwohl in anderer Weise verwirklicht werden als in einer Gesellschaft, die ein sittliches Gesamtbewußtsein hervorgebracht hat.

 

Mittwoch, 13. März 2024

Der Papst und der Ukraine-Krieg

Augustinus war einer der ersten
Theoretiker des gerechten Kriegs

Vor einigen Tagen wurde in nahezu allen Medien über ein Interview des Papstes mit dem italienischsprachigen Fernsehen der Schweiz berichtet, das vollständig erst am 20. März ausgestrahlt wird. Es wurden aber einige Auszüge aus dem Interview veröffentlicht, die zu einer heftigen Diskussion geführt haben. Dem Papst werden Vorwürfe gemacht, weil er angeblich die Ukraine zur Kapitulation aufgefordert habe. Wie oft in kriegerischen Zeiten wird auch hier mit Lügen operiert, denn der Papst hat nichts anderes gesagt, als dass die Ukraine und Russland verhandeln sollten.

Es ist allgemein bekannt, dass der Papst in den vergangenen Jahren häufiger Äußerungen von sich gegeben hat, die der überlieferten Lehre der Kirche deutlich widersprechen. In diesem Fall steht er aber in vollem Einklang mit der Lehre der Kirche vom „gerechten Krieg“.

 

Avicenna, Thomas von Aquin und Leibniz über das Kontingenzargument


Avicenna, Aquin und Leibniz legen alle jeweils eine Version dessen vor, was man heute als Kontingenzargument aus der für die Existenz eines notwendigen göttlichen Wesens bezeichnet.  Ihre Versionen sind interessanterweise unterschiedlich, obwohl Thomas von Aquin deutlich von Avicenna beeinflusst wurde und Leibniz mit Thomas von Aquin vertraut war.  Ich denke, dass alle drei gute Argumente sind, obwohl ich sie hier nicht verteidigen werde.  Das Argument von Avicenna habe ich in einem früheren Beitrag diskutiert.  Ich verteidige das Argument von Thomas in meinem Buch Aquinas, 1 auf den Seiten 90-99.  Das Argument von Leibniz verteidige ich in Kapitel 5 meines Buches Fünf Gottesbeweise Hier möchte ich die Argumente lediglich vergleichen und gegenüberstellen.

 

Freitag, 9. Februar 2024

Voluntarismus in „Das Verschwinden“


Der Ruf von The Vanishing (1993) hat gelitten, weil die Kritiker ihn als minderwertig gegenüber dem niederländischen Film von 1988 beurteilen, von dem er ein Remake war.  Aber für sich betrachtet ist er ein solider kleiner Thriller.  Jeff Bridges ist in der Rolle des kauzigen Familienvaters und Kinderfängers Barney Cousins wirklich unheimlich.  Ich hatte neulich Grund, mir den Film noch einmal anzusehen, und dabei fiel mir auf, was ich für ein unterschwelliges Thema halte, nämlich den Kontrast zwischen voluntaristischen und intellektualistischen Vorstellungen vom menschlichen Handeln.

 

Der fliegende Mann von Avicenna


Das neue Buch von Peter Adamson, Ibn Sīnā (Avicenna): A Very Short Introduction ist eine hervorragende Einführung in den großen islamischen Philosophen des Mittelalters.  Nach einem biografischen Kapitel behandelt es Avicennas Ansichten über Logik und Erkenntnistheorie, philosophische Anthropologie, Wissenschaft und natürliche Theologie und schließt mit einer Diskussion über seinen Einfluss auf die spätere Philosophie und Theologie.  Nützlich für den Leser ist unter anderem die Diskussion von Avicennas berühmtem Argument des "fliegenden Mannes".  Werfen wir einen Blick darauf.

Das Gedankenexperiment des fliegenden Mannes ist eines der Mittel (nicht das einzige), mit denen Avicenna die Immaterialität der menschlichen Seele nachweisen will.  Er stellt es am Ende des ersten Kapitels seiner Behandlung des Themas der Seele in seinem Werk Die Heilung vor.  Eine Stelle, an der man die entsprechende Passage finden kann, ist Jon McGinnis und David C. Reismans Sammelband Classical Arabic Philosophy,  in dem sie wie folgt übersetzt wird:

 

Dienstag, 5. Dezember 2023

Idealismus, Konstruktivismus, Dekonstruktivismus. Der philosophische Hintergrund der gegenwärtigen Krise in Politik, Kultur und Kirche. Teil 2


Dekonstruktivismus in Politik, Kultur und Kirche

 Wenn man die hier nur in ganz groben Zügen vorgestellten Theorien oder besser gesagt Ideologien liest, fällt einem sofort auf, dass sich diese in den verschiedensten Gebieten der gegenwärtigen Welt wiederfinden.

Idealismus, Konstruktivismus, Dekonstruktivismus. Der philosophische Hintergrund der gegenwärtigen Krise in Politik, Kultur und Kirche. Teil 1


Der folgende Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift THEOLOGISCHES. Katholische Monatsschrift, Jg. 52, Nr. 09/10, 2023. Der umfangreiche Artikel wird hier in voller Länge wiedergegeben, allerdings in zwei Teilen. Hier folgt der 1. Teil.

 

Im Folgenden möchte ich dafür argumentieren, dass die gegenwärtige Krise in Politik, Kultur und in der Kirche einen philosophischen Hintergrund hat, der insbesondere in der Philosophie des Konstruktivismus bzw. im Dekonstruktivismus liegt. Dies wird in den aktuellen Debatten häufig übersehen. Daher scheint mir eine Auseinandersetzung mit diesen philosophischen Positionen hilfreich zu sein, um eine tiefere Auseinandersetzung mit den aktuellen Problemen der Gegenwart anstoßen zu können.

 

Mittwoch, 8. November 2023

Nancy Cartwright über den Reduktionismus in der Wissenschaft


In ihrem ausgezeichneten neuen Buch A Philosopher Looks at Science greift Nancy Cartwright einige der langjährigen Themen ihrer Arbeit in der Wissenschaftsphilosophie wieder auf.  In einem früheren Beitrag habe ich erörtert, was sie im ersten Kapitel über Theorie und Experiment zu sagen hat.  Schauen wir uns nun an, was sie in ihrem zweiten Kapitel über den Reduktionismus sagt, dem sie seit langem kritisch gegenübersteht.